Immer von neuem Diät zu halten ist auf Dauer ziemlich nutzlos, wie ich im Leben und an meinem eigenen Körper über die Jahre eindrucksvoll bewiesen habe.
Egal welche Diät, egal welche Kostform, egal welches Kaloriendefizit, es funktioniert auch bei mir immer und ich nehme ab. Genauso zuverlässig nehme ich aber nach dem Ende der Diät wieder zu. (wenn ihr mehr wissen wollt…).
Im Moment bin ich sehr glücklich darüber, langsam ein natürliches Essverhalten zurückzuerlangen. Essen, wenn ich Hunger habe, aufhören, wenn ich satt bin. Jedoch wenn man wie ich nahezu 30 Jahre in der Spirale aus Diät und Überessen und wieder Diät gefangen war, dann dauert das wirklich lange. Leider ist das kein Spaziergang und ich nehme damit momentan auch nicht ab. Aber ich nehme auch nicht zu! Und das war Ziel Nummer eins.
Essen ohne sich zu beschränken und trotzdem nicht mehr zuzunehmen. Ein absolut natürliches Essverhalten, das ist mein Traum.
Aber auch hier tun sich Stolpersteine auf, die ich oft genug nicht alleine auflösen kann. Ich esse und ich merke, dass ich satt bin. Aber ich esse weiter. Nur noch ein kleines bißchen…ein Häppchen. Lang nicht mehr so viel, bis ich vollgestopft bin, nur ein kleines bißchen noch. Obwohl ich vorher hätte aufhören können und es auch wahrgenommen habe.
Und wenn dann noch beruflich wieder der mega Stress über mich hereinbricht und ich denke, ich müsste alles bewältigen und ich wäre nur gut genug, wenn ich wirklich alles schaffe, egal wie viel es ist, dann beruhigt mich Schokolade. Gefällig sein, Angst zu haben weniger wert zu sein, wenn man nicht alles schafft, immer in dem Bewußtsein, das meine eigene Messlatte auch super hoch liegt!
Dann überschlage ich im Geist wieder Kalorien und überlege, wie schlimm das jetzt war und ob ich nicht doch wieder zu dein Weight Watchers muss. Und schon stecke ich wieder fest in der Diätmentalität. Und das passiert immer wieder oder besser gesagt, immer noch.
Warum esse ich denn, obwohl ich keinen Hunger habe?
Dem wollte ich auf den Grund gehen. Denn das ist ja kein logisches Verhalten.
Also tat ich mal was anderes. Ich ging zur Hypnose.
So eine richtige Erwartungshaltung hatte ich nicht. Ich dachte, dass mir gegebenenfalls etwas in Hypnose suggeriert wird alá „ Du wirst dünn, Essen schmeckt nicht mehr” oder so ein Hokuspokus. Da stand Hypnose „ auch zum Abnehmen”. Beim Preis musste ich schlucken, das ist kein günstiges Vergnügen. Aber ich teste gerne neue Dinge, also ging ich mit offenem Herzen und gespannter Erwartung zum ersten Termin.
Aber da wurde ich ganz schnell eines Besseren belehrt. Es ging in keinster Weise darum meinem Unterbewußtsein etwas suggerieren oder Glaubenssätze in Hypnose zu verändern, sondern es geht darum, zu erkennen, warum ich das emotionale Essen brauche und was heilen muss, um damit aufzuhören. Emotionales Essen entsteht aus einer seelischen Not heraus und lindert Schmerz und Angst.
Denn nichts anderes ist es, wenn man ohne Hunger isst. Emotionales Essen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Angst, Langeweile, Belohnung, Einsamkeit…das ist so individuell und verschieden, aber das Essen erweist sich als zuverlässiger Seelentröster und immer verfügbarer Freund.
Die erste Hypnose Sitzung fand ich tatsächlich furchtbar.
Hypnose entspannt nach meinem Verständnis das Bewußtsein, so dass man leichteren Zugang zum Unterbewußtsein erhält und sich auf sein Inneres fokussieren kann. Ich bin dabei trotzdem „wach”, jedoch wirklich tiefen entspannt.
Also stand ich auf meiner Zauberwiese und suchte nach einer Person, die mir helfen könnte und die Person, die auf mich zu kam, war meine verstorbene Oma. Also habe ich in meiner ersten Sitzung die ganze Zeit nur geheult, weil es sich so real anfühlte.
Oma nahm mich in den Arm und sagte mir, Kind, alles ist gut. Du bist mir so ähnlich und das ist manchmal für alle anderen schwer zu verstehen. Wir wirken nach außen hin so stark und unbeugsam, so dass sich nur wenige Leute vorstellen können, dass wir innerlich sehr verletzlich und oft auch unsicher sind.
Und ich hatte jetzt einige Sitzungen, die sich mit ähnlichen Themen befassten. Was macht mir Angst? Warum bringt mich das zum Essen und warum ist es oft zu schwer, eigene Wünsche zu artikulieren, ohne das mich die Angst vor Ablehnung verfolgt? Warum ist es für mich so schlimm zu akzeptieren, dass ich manchmal etwas nicht kann?
Guten Tag, ich bin Andrea und ich bin unsportlich!
Das war einer von diesen Sätzen, an denen ich herumkaue. Denn das ist absolut wahr. Ich bin unkoordinierter als z.B. früher meine Klassenkameraden. Ich war der als „Letzte auf der Bank Hocker”, den keiner in der Mannschaft wollte. Früher fand ich das total gemein und fühlte mich ausgeschlossen. Aber es hat ja mit Sympathie oder mögen absolut gar nichts zu tun. Ich bin einfach unsportlich, kriege den Ball eher ins Gesicht als in den Korb und lege mich eher auf die Nase als über einen Kasten zu hocken. Und das wird mit gaaaanz viel üben etwas besser, aber es wird nie gut.
Ich bin in vielen sportlichen Sachen auf einer Skala von -9 bis +9 eine -5. Und wenn ich gaaaaanz viel übe, dann werde ich vielleicht mit sehr viel Mühe besser. Vielleicht arbeite ich mich hoch auf eine -1. Oder wenn es super läuft, werde ich eine sportliche Null.
Toll!
Und jetzt weiß ich, dass ich mich schon seit meinen Kindertagen ganz schlimm dafür schäme, dass ich unsportlich bin.
Egal wie schlau ich bin und egal ob ich einen Blog programmieren kann oder was ich sonst noch alles gut kann. Das was ich nicht gut kann wiegt schwerer. Scham bringt mich zum Essen.
Und so stieß ich während der Hypnose immer wieder auf Eigenschaften, für die ich mich schäme. Zeitgleich las ich im Buch von Oliva Wollinger „Essanfälle ade” etwas über toxische Scham.
Toxische Scham bedeutet, dass man sich für das schämt, was sein eigenes elementares Wesen ausmacht.
Scham ist ja eine gesunde Emotion und hält einen davon ab, ganz beknackte Dinge zu tun, wie auf der Hauptstraße nackt die Straße zu fegen und dabei Lieder von Marianne Rosenberg zu singen. Dies bezieht sich auf eine Handlung, etwas das man tut.
Toxische Scham bezieht sich darauf, wer man ist!
Während einer Hypnose-Sitzung versuchten wir, ein Gefühl aufzulösen, dass oberflächig ein Schuldgefühl war. Mir wurde aber bewußt, dass dies so nicht klappen wird und kam auch an dem Punkt nicht weiter. Es dauerte ein paar Tage, bis ich mir aufging, dass es eben kein Schuldgefühl über etwas war, das ich getan hatte, sondern ein Schamgefühl über eine meiner elementaren Eigenschaften.
Ich bin ein ehrlicher und sehr direkter Mensch!
Das war ich schon als kleines Kind. Ich kann in den meisten Fällen sehr gut wahrnehmen, was ich gerade brauche oder möchte. Oder wenn jemand versucht mich zu manipulieren oder mir seinen Willen aufzuzwingen, dann nahm ich das nicht hin, sondern diskutierte. Und wenn mir jemand sagt, der Apfel ist lila, dann wird er noch lange nicht lila, egal wie oft mein Gegenüber es behauptet. Mein Apfel bleibt grün, sofern ich ganz fest davon überzeugt bin.
Mir fiel z.B. eine Episode aus dem Kindergarten wieder ein, so 42 Jahre her…(Ich bin alt…lach). Die Leiterin war eine körperlich sehr beeindruckende Nonne mit riesiger Brille und gaaanz großen Augen. Und sie war kein netter Mensch. Ich ging an einem Regal vorbei aus dem Kind x gerade eine riesige Kiste Lego heruntergeworfen hatte. Die Nonne rauschte heran und sagte zu mir: „HEB DAS AUF! Und ich sagte, Warum? Ich habe es nicht herunter geworfen! HEB DAS SOFORT AUF! Nein, ich will nicht, weil Kind x schon die ganze Woche gemein zu mir war und ich das nicht einsehe, dass ich jetzt helfen soll!” Im Endeffekt bekam ich die Strafpredigt und eine saftige Strafe obendrein. Und ich schämte mich ganz schrecklich dafür, dass ich nicht direkt geholfen hatte und fühlte mich aber auch gleichzeitig im Recht, weil ich absolut nicht helfen wollte. Nicht dem anderen Kind, dass bei allem immer das leuchtende Vorbild war und ganz nebenbei ein ganzes Jahr älter als ich. Diesen Konflikt in mir konnte ich aber nicht lösen.
Und so gibt es ganz viele Beispiele, in denen meine Ehrlichkeit und Gradlinigkeit mir Ärger einbrachte. Damals noch Kind verstand ich nicht, warum das so ist und lernte mit der Zeit:
Bist du ehrlich und gradlinig, dann garantiert das Ärger. Mit dir ist irgendwas falsch.
Heute würde ich, wenn ich solche Situationen von außen betrachten würde, den Eltern raten ihr Kind in diesen eigentlich guten Eigenschaften zu bestärken, aber gekoppelt an die Bitte: „Lehrt eurem Kind die Kunst der Diplomatie”. Euer Kind hat eine große Fresse, es muss lernen andere Menschen damit nicht zu verletzen. Und trotzdem muss es keine Angst haben nicht mehr geliebt zu werden, wenn es nicht lassen kann, seine eigene, persönliche Wahrheit zu vertreten und zu verkünden.
Oder ich erinnerte mich an eine Situation mit meiner Omi, der andere Zweig der Familie. Wir waren im Garten und mein Opa machte Fotos und meine Omi sagte zu mir: “Geh weg, du versaust immer das Bild”. Ich habe mich noch ein paar Stunden mit diesem Satz herumgeplagt und habe dann beim Abschied zu meiner Omi gesagt: Weißt du Omi, deine Visage sieht auf einem Bild auch nicht besser aus!”. Und prompt gab es einen Mega Familieneklat inkl. monatelange Funkstille zu Omi und Opa.
Und ich war schuld. Ich hatte den bösen Satz gesagt und jetzt gab es mega Ärger.
Heute denke ich, dass meine Omi mir damit sagen wollte, dass ich immer Fratzen schneide. Damals war Bildentwicklung teuer und 20 Bilder, auf denen ich Fratzen schneide, wären wirklich rausgeworfenes Geld gewesen. Denn ich war wirklich ein fratzenschneidender Fotobomber…lach…
Hängen geblieben ist damals, du bist hässlich!
Ehrlichkeit ist falsch, Geradlinigkeit ist falsch und jetzt war ich noch zu hässlich für ein Foto und unsportlich sowieso. Dass Konflikte ganz normal sind und man diese z.B. durch einen runden Tisch hätte lösen können, dass gab es damals in unserer Welt noch nicht. Da gab es beleidigtes Schweigen, Informationen aus dritter Hand und Schuldzuweisungen.
In der Zeit zwischen den Sitzungen hatte ich auf einmal mehrfach Erinnerungen an frühere Begebenheiten, in denen ich selber meine Geradlinigkeit als schlechte Eigenschaft eingestuft hatte. So aus der Ferne betrachtet waren aber oft nur meine Mitmenschen unsensibel und gemein und der Anspruch an mich war eher, alles hinzunehmen und keinen Ärger zu machen.
Dazu kommt, dass ich ein introvertierter Mensch bin. Ich bin weder still noch leise, sondern oft laut mit großer Fresse, aber ich brauche meine Rückzugphasen, in denen ich alleine mein Ding mache und meine Gedanken sortiere. Gerade wenn viele Menschen über viele Stunden in einem Raum sind, dann wird mir das schnell zu viel. Dann ziehe ich mich zurück und komme ein wenig zur Ruhe. Ich mag lieber das Zwiegespräch, als riesige gesellige Runden. Das führt in einer lauten, lärmenden Welt, in der die Extrovertierten die Macher sind, oft zu Missverständnissen.
Jetzt war ich also falsch in meiner Ehrlichkeit, Gradlinigkeit, hässlich, unsportlich und auch noch ein wenig merkwürdig.
Alles Eigenschaften, die ich an mir auf einmal blöd fand und für die ich begann, mich zu schämen. Ich verstummte regelrecht, hörte auf meine Bedürfnisse zu äußern und meine Meinung zu sagen und begann zu essen. Mehr als mir gut tat. Das Essen war Beruhigung, Belohnung und Trotz und auf einmal ein Problem.
Gleichzeitig versuchte ich, gegen das daraus resultierenden Übergewicht anzukämpfen. Dabei wollte ich nicht nur dünner sein, sondern durch das Abnehmen beliebter und ein besserer Mensch werden.
Denn wenn ich schlank bin, dann bin ich ein besserer Mensch und dann kann ich es mir vielleicht wieder erlauben, zu sagen was ich denke.
Was ich aber dabei ja nie abnehmen konnte war die ganze Zeit die Scham, die ich über meine vermeintlich schlechten Eigenschaften empfand. Eigenschaften, die zu mir gehören, egal ob ich ein Elefant bin oder ein Spargel.
So wie ich bin, bin ich nicht okay. Also bestrafe und belohne und beruhige ich mich mit Essen. Jetzt bin ich fett, also noch weniger okay, also bestrafe und beruhige ich mich mit Essensentzug. Jetzt bin ich dünn, aber immer noch nicht okay, also bestrafe und belohne und beruhige ich mich mit Essen. usw.
Schon irgendwie verrückt, oder? Aber Hypnose hilft mir, ein natürliche Essverhalten wieder zu erlangen!
Man sagt, man wird von der Zukunft gezogen und nicht von der Vergangenheit getrieben. Ich kann dem nur bedingt zustimmen, denn die Wurzeln und Glaubenssätze der Vergangenheit wirken auch in der Gegenwart immer noch sehr stark.
Deswegen finde ich die Hypnose klasse, da ich einfach so viele Dinge erkannt habe und diese für mich lösen kann.
Ehrlichkeit ist eine gute Eigenschaft, jedoch kein Freifahrsschein, um jedem alles an den Kopf zu werfen. Ich übe mich in Diplomatie. Selbst auferlegtes Schweigen verlagert so viele Gefühle ins Innere, die dann gerne mit Überessen getötet werden, da die Gefühle ungesagt im Inneren nur schwer auszuhalten sind.
Gradlinigkeit ist eine gute Eigenschaft. Auch wenn Sie einen manchmal in Schwierigkeiten bringt, lerne ich dies an mir zu schätzen. Denn Konflikte sind normal und wird es immer geben. Ich habe sehr gute Konfliktlösungsstrategien erlernt im Laufe der letzten 30 Jahre.
Ich bin unsportlich. Ja, das ist so. Aber andere Menschen sind unmusikalisch, unbegabt in Sprachen oder ähnliches. Das ist kein Beinbruch…
Ich bin ein Fotobomber und schneide Fratzen. Ja bin ich…lach. Sehr zu meinem Vergnügen.
Introvertiertheit ist ein Wesenszug und kein Makel.
Sich selber so zu reflektieren erfordert Mut und diesen Artikel zu schreiben auch. Aber ich kann noch 100 Jahre üben nur zu Essen, wenn ich körperlichen Hunger habe, wenn ich eigentlich essen will, weil ich nicht den Mut habe meine Meinung zu sagen und die Angst herunterstopfe. Oder die Scham, wenn ich doch meine Meinung gesagt habe und die Reaktionen darauf nicht freundlich waren.
Oder wenn ich esse, weil ich mich überfordert fühle, aber nichts sage, damit niemand merkt, das ich auch nur ein Mensch bin…lach.
Also scheiße ich auf die Scham. Nicht immer, aber immer öfter!
Und ich frage mich beim Essen nun oft, ob mir das jetzt tatsächlich guttut und ob es sich körperlich gut anfühlt. Macht es mich satt und fühlt es sich angenehm an? Fühle ich mich bequem mit diesem Essen? Oder bekomme ich Bauchgrimmen? Suppenkoma? Mich interessiert, ob es mir damit gut geht. Die Zeit der Bestrafung ist vorbei!
Kennt ihr dieses Gefühl der Scham für einen eurer elementaren Wesenszüge? Nicht für etwas, das man getan hat? Ich glaube, dass es bei vielen Menschen dazu führt, mehr zu essen als für den eigenen Körper gut wäre.
Hier sind noch zwei gute Artikel zur Scham:
Wow, was für ein Artikel! Immer wieder eine Freude, bei Dir zu lesen, danke! 😀
Hi Marc,
danke für deinen lieben Kommentar. Ich gebe mir weiter Mühe.
Liebe Grüße
Andrea